Christian Kern: Eine österreichische Polit-Tragödie

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Ex-Kanzler und Ex-Parteivorsitzender Christian Kern zieht sich aus er Politik zurück. Vor zweieinhalb Jahren stieg er als Hoffnungsträger in die Politik ein und verlässt die politische Bühne in einem Trauerspiel, das seines gleichen sucht. Eine kurze Geschichte des bewegten politischen Lebens von Christian Kern als Bundeskanzler, SPÖ-Vorsitzender und Oppositionsführer ...

Vom ÖBB-Chef direkt zum Regierungs-Chef, nach der Wahl in die Opposition, von dort zum EU-Spitzenkandidaten und von dort ins aus. Das alles passierte in nur zweieinhalb Jahren. Ein politisches Drama, das die Fiktion toppt. Hier die Geschichte aus der Perspektive der Parteibasis in vier Akten. 

Der Kampf ums Kanzleramt

Der Schwenk Werner Faymanns in der Asyl-Politik - Stichwort "Türl mit Seitenteilen" - brachte das Fass zum Überlaufen. Neoliberale Wirtschaftspolitik und rechtspopulistische Asylpolitik in einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung. Das war der Parteibasis zu viel und sie buhte Faymann beim Maiaufmarsch in Wien aus. Wenige Tage darauf trat der politische Überlebenskünstler Faymann zurück - nicht freiwillig. Der Kampf um die Nachfolge war eröffnet und nach kurzer Zeit kristallisierten sich zwei Kandidaten heraus: Ex-ORF-Chef Gerhard Zeiler und ÖBB-Chef Christian Kern. Im Hintergrund versuchten beide die Landesorganisationen und die Gewerkschaft hinter sich zu versammeln und Kern gewann - nun war er Parteivorsitzender und Bundeskanzler.

Die Regierung

Als frisch gebackener Bundeskanzler erneuerte er die SPÖ-Regierungsmannschaft und sorgte mit seiner Antrittsrede "Ein New Deal für Österreich" für politische Aufbruchstimmung. Doch würde die ÖVP das zulassen? Als Vizekanzler Mitterlehner meinte "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne" glaubten viele Bürger, dass sich die Koalitionspartner zum Wohl Österreichs zusammenrauften. Mit Bildungsmilliarde, Start-Up-Paket, Ausbildungspflicht bis 18 und vor allem mit der Aktion 20.000 sah es auch wirklich so aus.

Doch dann verschwor sich Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz gegen seinen Bundesparteiobmann Reinhold Mitterlehner und stürtze ihn mithilfe seines "Messers" Wolfgang Sobotka. Eine konstruktive Regierungspolitik war nicht mehr möglich und das Parlament beschloss Neuwahlen für den Herbst 2017.

Vom Boulevard hofiert und mit einer rhetorisch brillant präsentierten Law-and-Order-Politik gegen Flüchtlinge führte Sebastian Kurz die Umfragen. Und der Wahlkampf der SPÖ war von Pannen und Störungen gekennzeichnet. Den Höhepunkt bildete die Affäre um Tal-Silberstein, die durch einen Verrat in der Zentrale ins Rollen kam. Ich bin überzeugt, dass diese Affäre kaum Stimmen gekostet hat. Stimmen gekostet hat hingegen die mediale Fokussierung auf die kulturelle Frage (Asyl, Flüchtlinge, Migranten), während die soziale Frage (Wohlstand, Beschäftigung, Wohnen) auf der Strecke blieb.

Am Ende gewann die ÖVP unter dem machtpolitisch talentierten und rhetorisch begabten jungen Intriganten namens Sebastian Kurz klar vor der SPÖ mit dem smarten, eloquenten, charismatischen Christian Kern. Eine schwarz-blaue Koalition war die einzig logische Konsequenz und bedeutete für die SPÖ den Gang in die Opposition.

Die Opposition

Mit vollem Elan packte Christian Kern die Rolle als Oppositionsführer an und kritisierte die zahlreichen gemeinwohlfeindlichen Politiken von Schwarz-Blau höchstpersönlich. Viele in der Parteibasis befürchteten, dass sich Christian Kern selbst verschleißt und von den Menschen nicht mehr als möglicher Kanzler gesehen wird. Eine strenge Arbeitsteilung musste her: Der Bundesgeschäftsführer und die Themensprecher kritisieren Schwarz-Blau und Christian Kern wirbt für seine sozialdemokratische Vision. Langsam etablierte sich diese Arbeitsteilung und sie würde bald Früchte tragen.

In der Zwischenzeit trieb er das neue Grundsatzprogramm voran. Mit Mitgliederforen, einem wissenschaftlichen Beirat und einer mehrmonatigen Onlinediskussion beteiligten sich viele Mitglieder beim Zukunftsprogramm. Am Ende sprach sich bei der Mitgliederabstimmung eine überwältigende Mehrheit für das neue demokatisch erarbeitete Grundsatzprogramm aus.

Parallel dazu erarbeitete eine Arbeitsgruppe ein Positionspapier zum Thema „Flucht – Asyl – Migration – Integration“ um den schwelenden Konflikt zwischen dem liberalen Flügel und dem Schmiedl-Flügel beizulegen. Was ist der Schmiedl-Flügel? Das ist der Flügel, der glaubt die SPÖ müsse sich bei der Gesellschaftspolitik der FPÖ annähern damit sie wieder Stimmen gewinnt. Die Menschen gehen zum Schmied und nicht zum Schmiedl, daher bringt so ein anbiedern aus meiner Erfahrung gar nichts - es schadet eher. Trotzdem war das Papier wichtig, um diesen Konflikt beizulegen.

Die Durststrecke und die inneren Querelen schienen überwunden und nun konnte endlich die ganze Energie in den Widerstand gegen die reaktionäre und gemeinwohlfeindliche Bundesregierung fließen. Gegen den Zwöflstundentag, gegen die Entmachtung der Versicherten bei den öffentlichen Krankenkassen, gegen die Zerschlagung und Privatisierung der Unfallversicherung und für eine progressive und gemeinwohlorientierte Politik mit Vollbeschäftigung, Arbeitszeitverkürzung, Wohlstand für alle und erstklassige Gesundheit und Bildung für alle. Nun kann es losgehen - dachte ich zumindest.

Das Ende

Die Medien verkündeten inoffiziell den Rücktritt von Christian Kern als Parteivorsitzenden. Boulevard und Qualitätsmedien gleichermaßen spekulierten über die Gründe und was Kern nach der Politik wohl tun werde. Am Ende entpuppten sich die Medienberichte als halb-falsch. Kern trat als Vorsitzender zurück und kandidierte für die EU-Wahl 2019 als Spitzenkandidat - womöglich als  Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokratie.

Was war passiert? Ein Verräter in der Zentrale oder im Vorstand lancierte die Nachricht an die Bundes-ÖVP und die sofort an die Medien. Solche Menschen verstehen nicht, dass ein Verrat nicht nur der Person schadet, sondern der ganzen Partei. Mit nassen Handtüchern gehören solche Wappler aus der Partei gejagt!

Nach dem ersten Ärger kristallisierte sich mit Pamela Rendi-Wagner eine smarte, eloquente Ex-Gesundheitsministerin als Nachfolgerin heraus. Die Landesparteien und die Gewerkschaft versammelten sich hinter Rendi-Wagner und nun ist sie designierte Bundesparteivorsitzende. Die Basis hoffte nun dass Ruhe eingekehrt sei und die Energie in eine lautstarke Opposition und eine progressive und gemeinwohlorientiere Politik fließen konnte.

Dann richteten Landesparteigranden die designierte Bundesvorsitzende über die Medien aus. Es kann doch nicht wahr sein! Personelle Forderungen und Strategien können und sollen kontrovers diskutiert werden, aber nur intern! Robert Misik hat mit seinem Video-Kommentar "Können sich die mal endlich zusammenreißen" den Nagel auf den Kopf getroffen. Als wäre das nicht schon genug melden die Medien den Rückzug Kerns aus der Politik - wieder inoffiziell, wieder durch Verrat in der Zentrale oder dem Vorstand. In der Pressekonferenz verkündete Christian Kern dann genau das. Das tragische und unrühmliche Ende einer vielversprechenden Polit-Karriere.

Fazit

Der Abgang von Christian Kern und wie der ablief zeigte mir, dass die Spitzenmannschaft (bzw. Teile davon) keine Selbstdiszplin mehr besitzt. Die einzige Konsequenz ist die Demokratisierung der Partei. Die Wahl der Vorsitzenden und die Erstellung der Listen muss in Zukunft einzig und allein von der Parteibasis ausgehen.

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